Chemische Kampfmittel sind u.a.
a) Reizstoffe und
b) Kampfstoffe.
Chemische Kampfmittel können schwere Verluste an Mensch und Tier verursachen, Pflanzen schädigen und Material vorübergehend oder dauernd unbenutzbar machen. Die Durchführung von Rettungsarbeiten kann in Frage gestellt werden.

Reizstoffe sind für den militärischen Einsatz geeignete chemische Verbindungen, wie z.B. Adamsit, Clark I (Diphenylchloroarsin), Clark II (Diphenylcyanoarsin) oder die bekannten „Tränengase“ CN (Chloracetophenon) und CS. Sie erzielen bei normaler Konzentration eine kurzdauernde, heftige, aber ohne nachhaltige Folgen abklingende Reizwirkung. Nach ihrer Wirkungsart auf den menschlichen Körper werden die Reizstoffe eingeteilt in
Augenreizstoffe und
Nasen-Rachen-Reizstoffe.
Augenreizstoffe verursachen vorrangig Tränenfluß und behindern die Sehfähigkeit. Es kann auch eine Reizung der oberen Luftwege, die sich auch nach dem Aufsetzen der ABC-Schutzmaske oder in reizstofffreier Luft über Husten und Übelkeit bis zum Erbrechen steigern kann. Die Wirkungen klingen langsam ab und sind nach 1-2 Stunden verschwunden.

Kampfstoffe sind für den militärischen Einsatz geeignete chemische Verbindungen, die den Menschen vorübergehend, nachhaltig oder tödlich vergiften. Kampfstoffe, die nach dem Einsatz das Gelände über längere Zeit vergiften, werden bodenvergiftend genannt. Ein solcher Kampfstoff kann in Form von zähen und klebrigen Tropfen oder Fladen auftreten, die fest an der Oberfläche kleben. So ausgebracht wirken Kampfstofte in erster Linie bei Berührung auf oder über die Haut. Sie verdunsten, wenn sie im Gelände ausgebracht sind, langsam und wirken an der Freisetzungsstelle relativ lange. Kampfstoffe, die schnell verdunsten und eine hohe Giftkonzentration in der Luft an der Freisetzungsstelle verursachen, werden luftvergiftend genannt. Sie verteilen sich als Gase, Dämpfe oder Schwebstoffe in der Luft und wirken vor allem über die Atemwege, die Haut und die Schleimhaut. Kampfstoffdämpfe können über boden- oder luftgebundene Waffensysteme eingesetzt werden. Gelände kann durch Sprühangriffe von Flugzeugen aus vergiftet werden. Nach der Art ihrer Wirkung auf den menschlichen Körper werden die chemischen Kampfstoffe eingeteilt in

Lungenschädigende Kampfstoffe (z.B. Phosgen, Chlorcyan, Chlorpikrin) zerstören das Lungengewebe und können nach mehrstündiger (12 bis 24 Stunden) beschwerdefreier Zeit zu schweren Erkrankungen und zum Tod durch Ersticken führen.
Hautschädigende Kampfstoffe (z.B. S-Lost, N-Lost, Lewisit) zerstören die betroffene Haut und verursachen Wunden, die nur sehr langsam heilen. Eine Einwirkung auf die Augen kann zur Erblindung führen. Ihre Dämpfe schädigen die Augen, Luftwege und Lungen sowie die inneren Organe, wenn sie in den Körper eingedrungen sind. Die ersten Anzeichen einer Vergiftung der Haut sind Rötung. Nach 2-6 Stunden treten Juckreiz und Schmerzen auf. Blasen entwickeln sich noch später.
Blutschädigende Kampfstoffe wie z. B. Arsenwasserstoff oder Chlorcyan dringen über die Atemwege in den menschlichen Organismus ein. Sie wirken durch Zerstörung der roten Blutkörperchen mit Schäden z. B. in Milz, Leber, Nieren. Die Vergiftungserscheinungen treten erst nach einigen Stunden auf.
Zu den nervenschädigenden Kampfstoffen gehören Stoffe wie Tabun, Sarin, Soman, VX und DFP. Sie stören die Funktion des Nervensystems, wodurch Erregungs-, Krampf- und Lähmungszustände sowie übermäßige Drüsensekretion ausgelöst werden, die in kurzer Zeit zum Tode führen können. Die Aufnahme in den Körper erfolgt über die Atemwege und über die Haut.
Seelisch-geistig schädigende Kampfstoffe oder Psychokampfstoffe (z.B. BZ) wirken als Schwebstoffe über die Atemwege. Sie verursachen bereits in sehr geringen Mengen Psychosen und körperliche Störungen, die über viele Stunden andauern können und dann abklingen.
 

3.2 Gefährdung durch chemische Kampfstoffe

Schutzmaßnahmen gegen Kampfstoffe
Eine vollständige Schutzausstattung, bestehend aus Atem- und Körperschutz, und ihre schnelle Handhabung sind Voraussetzung für wirksamen Schutz. Die ABC-Schutzmaske verhindert das Eindringen von Kampfstoffen in die Atemwege und schützt Gesicht und Augen. Die ABC-Schutzbekleidung (Overgarment) schützt in Verbindung mit den Sicherheitsgummistiefeln und der ABC-Schutzmaske die Helfer auch vor der Einwirkung über die Haut. Der ABC-Selbsthilfesatz enthält Selbsthilfemittel, die im Falle eines Kampfstoffangriffs sofortige Hilfsmaßnahmen durch den Helfer selbst oder durch Kameraden ermöglichen. Eine große Gefahr bei Einsatz chemischer Kampfstoffe liegt in der Überraschung. Dem Helfer bleiben für Schutzmaßnahmen unter Umständen nur wenige Sekunden. Daher müssen vorbereitende Maßnahmen getroffen werden. Hierzu gehören u. a.
-das ständige Mitführen der persönlichen ABC-Schutzausstattung und das Üben der schnellen Handhabung,
-das tägliche Überprüfen der persönlichen ABC-Schutzausstattung und das sofortige Abstellen auch kleinster Mängel,
-das Achten auf Anzeichen eines Einsatzes chemischer Kampfstoffe.


Anzeichen können sein
-Absprühen aus Flugzeugen,
-zerplatzende oder an Fallschirmen niedergehende Kleinbomben,
-ortsfremder Geruch,
-auffällige Wolkenbildung nach Geschoßeinschlägen,
-Veränderungen der Umwelt,
-Krankheitszeichen beim Menschen.

Bei Beobachtung von Anzeichen dieser Art ist jeder Helfer verpflichtet, sofort ABC-Gefahr auszulösen. „ABC-Gefahr“ bedeutet: „Einsatz von Kampfstoff! Höchste Lebensgefahr – blitzschnelles Handeln!“. „ABC-Gefahr“ wird u. a. durch Übermittlungszeichen ausgelöst. Übermittlungszeichen sind für die nächste Umgebung das Aufsetzen der ABC-Schutzmaske und das mehrmalige Hindeuten mit beiden Händen zur aufgesetzten Schutzmaske, für den weiteren Umkreis ein vereinbartes akustisches Zeichen, wie z. B. Anschlagen an Eisenschienen, Hupzeichen und dgl.
Bei ABC-Alarm über Sirenen sofort Atem anhalten, Augen schließen und ABC-Schutzmaske aufsetzen! Overgarment anlegen! Je nach Lage weitere Schutzmaßnahmen durchführen, wie
-Aufsuchen einer Deckung (in deckungslosem Gelände bieten geschlossene Fahrzeuge vorübergehenden Schutz),
-Benutzung des ABC-Selbsthilfesatzes (z. B. Ohrenpfropfen, Wundschutzverband).


Als kontaminiert (vergiftet) gelten alle Personen oder Sachen, die mit chemischen Kampfstoffen in Berührung gekommen sind. Sie sind zu dekontaminieren; das gilt auch für Personen, die noch keine Vergiftungserscheinungen aufweisen. Die Dekontamination ist zuerst mit eigenen Mitteln behelfsmäßig durchzuführen. Nach Durchführen aller Selbsthilfemaßnahmen ist in jedem Falle für die Vollentgiftung zu sorgen.


Behandlung von Lebensmitteln
Offene Lebensmittel und Wasser, bei denen der Verdacht besteht, daß sie mit chemischen Schadstoffen in Berührung gekommen sind, dürfen nur nach Freigabe durch die zuständigen Behörden verwendet werden. Eine Verpackung in luftdicht verschlossenen Gefäßen aus Metall oder Glas (Konserven oder Eingemachtes) bieten gegen alle Kampfstoffe in jeder Einsatzform zuverlässigen Schutz. Luftdicht verschlossene Gefäße aus Kunststoff sowie Verpackung in Metallfolie schützen gegen flüssige Kampfstoffe nicht ausreichend.


3.3 Behelfsmaßnahmen

Wird im Freien, also ungeschützt, eine Gefährdung durch biologische oder chemische Gifte erkannt, sind auch hier zunächst der Bedrohung angemessene Sofortmaßnahmen erforderlich.

Das könnten sein:
– alle Kleideröffnungen schließen und abdichten;
– Handschuhe anziehen;
– sofort feuchtes Tuch vor Mund und Nase halten;
– Schutzumhang so umhängen, daß Kopf und Körper bedeckt sind;
– Wunden luftdicht verschließen;
– unnötige körperliche Anstrengungen vermeiden;
– nur ganz flach durchatmen;
– wenn vorhanden, sofort ABC-Schutzmaske aufsetzen;
– zumindest Kopf durch einen Hut oder eine Plastikeinkaufstüte schützen.


Nach diesen ersten Sofortmaßnahmen ist unverzüglich ein Haus oder ein Schutzraum, zumindest aber eine Behelfsunterkunft aufzusuchen. Auch hier gilt, daß vor deren Betreten eventuell verseuchte oder vergiftete Oberbekleidung abzulegen und später zu vernichten ist.

Als Behelfsschutzmittel bei vorübergehendem Aufenthalt im Freien könnten verwendet werden:
Behelfsschutzplane:
Sie soll bei überraschend eintretenden Auswirkungen einer ABC-Katastrophe im Freien kurzfristig Körper und Bekleidung während eines Niederganges radioaktiven Niederschlages oder biologischer bzw. chemischer Giftstoffe behelfsmäßig schützen. Neben den im militärischen Bereich genutzten ABC-Schutzplanen (z.b. bei Mayer-Ausrüstungen erhältlich), könnten aushilfsweise eingesetzt werden: -gummierte Autoschutzplanen, Motorrad- oder Fahrradschutzdecken,
-glatte, gummierte Tischdecken, mindestens im Format 140x180cm,
-Plastikfolien, wie sie zur Abdeckung von Silos in der Landwirtschaft genutzt werden,
-große, an einer Seite aufgetrennte Plastiktüten, wie sie z.b. zum Transport von Düngetorf Verwendung finden,
-gummierte oder PVC-Duschvorhänge,
-große Garten-Sonnenschirme (nur für wenige Minuten)
-ein umgedrehtes Plansch- oder Badebecken (aufgeblasen!) aus kräftiger PVC-Folie oder Gummi,
-PVC-beschichtete Zeltbahnen oder Dachzelte,
-ein umgedrehtes Badeboot aus kräftigem Kunststoff oder Gummi,
-eine aufgeblasene Liegematte aus PVC oder gummiertem Stoff,
-ALU-Isoliermatte für Wanderer (190x60cm)
-Isolierfolie für Dachabdichtungen,
-Folie zum Abdichten von Zierteichen,
-Teppich mit gummierter Unterseite, die nach außen zu wenden ist.
Jede andere, kräftige Folienart oder ausreichend große Gummimatte (sie muß die Körperoberfläche abdecken können) erfüllt ebenso ihren Zweck (großer Gummimantel oder Regenumhang). Benutzt man -mangels der vorgeschlagenen Hilfsmittel- eine dicke Wolldecke, dann schützt diese gegen Tropfen oder flüssigen Kampfstoff höchstens wenige Minuten. Sie ist also unmittelbar nach dem Sprühangriff in Windrichtung rückwärts abzuwerfen.

Behelfsschutzanzug:
Der ABC-Schutzanzug wird dann benötigt, wenn es notwendig sein sollte, sich vorübergehend in einem mit seßhaftem Kampfstoff oder biologischen bzw. strahlenden Teilchen verseuchten Gebiet aufzuhalten. Das könnte erforderlich werden, wenn aus unabwendbaren Gründen der im kontaminierten Bereich liegende Schutzraum verlassen werden muß (löschung eines Brandes, Beschaffung von Getränken oder Lebensmitteln aus benachbarten Häusern, Hilfsmaßnahmen für verletzte Menschen usw.).
Für die kurze Zeit des Aufenthalts in einem solchen Gebiet könnten ersatzweise als ABC-Schutzbekleidung dienen: Anzug:
-Sporttaucheranzug,
-Surfanzug,
-Motorradbekleidung aus Leder,
-Ski-Anzug mit dickem Futter und feuchtigkeitsabweisender Oberfläche,
-Ledermantel mit dickem Pelzfutter,
-Gummimantel,
-Anglerhose mit angesetzten Stiefeln und gummierter Jacke,
Die Ärmel und Hosenbeine sind mit Bindfaden oder Einweck-Gummiringen zu verschließen.

Handschuhe:
-Jede Art langstulpiger Gummi- oder PVC-Handschuhe, die über die Ärmel des Behelfsschutzanzuges gezogen werden können,
-im äußersten Notfall können auch pelzgefütterte Lederhandschuhe benutzt werden, über die man Plastiktüten stülpt, die um die Unterarme zugebunden werden.

Stiefel:
-Gummistiefel,
-hohe Lederstiefel,
-Reitstiefel aus Gummi oder Leder,
-Kunststoff-Skistiefel
-hohe Wanderstiefel mit glattem Leder und Gummisohle,
-Fallschirmspringerstiefel,
-Anglerstiefel.
Die Schutzwirkung der Stiefel kann dadurch nicht unwesentlich verbessert werden, daß man Plastikeinkaufsbeutel überstülpt und am Bein zusammenbindet.
Ähnliche Kunststoffhüllen gehörten im Zweiten Weltkrieg zur Gasschutzausrüstung der sowjetischen Soldaten.
Kopfbedeckung:
-Gummibadehaube
-Plastiktrockenhaube
-Plastiktüten, durch Einschlagen einer Ecke in Spitzform gebracht, schützen auch den Nackenbereich,
-Lederhüte mit breitem Rand,
-Feuerwehrhelme mit Nackenschutz,
-Stahlhelme,
-Plastik-Schutzhelme.
Von besonderer Bedeutung ist immer die richtige Kombination der Kopfbedeckung mit der ABC-Schutzmaske.
Bei allen Hilfsmitteln muß immer wieder darauf hingewiesen werden, daß sie nur eine begrenzte Zeit Schutz gegen hautschädigende Stoffe und Nervenkampfstoffe bieten. Selbst professionelle Schutzanzüge werden auf die Dauer von Kampfstoffspritzern dieser Gifte durchdrungen. Es ist also wichtig, die Bekleidung immer nur kurze Zeit der Einwirkung derart aggressiver Kampfstoffe auszusetzen, sie rasch nach Erledigung der Arbeit im Freien wieder abzulegen und dabei jede Berührung mit vergifteten Teilen der Bekleidung zu vermeiden.


Entgiftungsmittel und Entgiftungshilfsmittel:
Entgiften heißt, sesshafte chemische Kampfstoffe zu vernichten, unwirksam zu machen oder zu entfernen.

Entgiftungsmittel oder Ausweichprodukte vernichten die mit ihnen in Berührung gebrachten chemischen Kampfstoffe durch chemische Umwandlung in Stoffe ohne Kampfstoffcharakter. Sie machen Kampfstoffe teilweise ungiftig.
Lösungsmittel dagegen entfernen den Kampfstoff nur von der Oberfläche, auf der sie haften, wobei das benutzte Lösungsmittel selbst durch Anreicherung mit Kampfstoffen giftig wird.
Mit Behelfsmitteln kann man einen großen Teil der bekannten Kampfstoffe partiell aufnehmen und absaugen (Lappen, Papier, Puder, Tupfer).

Nach der Reinigung kampfstoffbespritzter Körperteile sind sofort Entgiftungsmittel anzuwenden. Der Vorgang ist mehrfach zu wiederholen.
Bei Einsatz von Nervenkampfstoffen muß vor der Dekontamination Atropin gespritzt werden! Treten erneut Krankheitssymptome auf, ist so lange weiterzuspritzen, bis sich das Verhalten normalisiert.
Die hierfür benötigten Atropin-Spritzen gibt es rezeptpflichtig über jede Apotheke (muß gegebenenfalls dort bestellt werden).
Bei jeder Dekontamination von Körperteilen, die mit Kampfstoff in Berührung geraten sind, ist unbedingt zu beachten, daß die Hände durch Handschuhe (Gummihandschuhe) geschützt bleiben, um so eine spätere Übertragung von Giftstoffen durch die ungeschützten Hände zu vermeiden.
Die Körperdekontamination hat also beim Bemühen „zu Überleben“ absoluten Vorrang. Hilfreiche Mittel könnten sein:

Im Fachhandel erhältlich: Ersatz- und Aushilfsstoffe:
Natriumhydrogensulfat zur Entgiftung von N-Lost und Nervenkampfstoffen C13

Für C13: -Calgonit S (2fache Menge von C13)
-Calgonit ST (2fache Menge von C13)
-Jalu sauer (2fache Menge von C13)

Natriumcarbonat (Soda) zur Entgiftung von Nervenkampfstoffen C14

Für C14: -Kristallsoda (2fache Menge von C14)
-Natronlauge, Kalilauge: 20% der Menge von C14. Vorsicht! Ätzend sofort nachspülen!

Calciumhypochlorid (65-70%) zur Entfernung von Nervenkampfstoffen, Lewisit und S-Lost
C8

Für C8: -Chlorkalk (2fache Menge von C8)
-Natronbleichlauge, (Eau de Javelle) (6fache Menge von C8)
-Chloramin T (2fache Menge von C8)

C-Kampfstoff-Spürpulver zur Überprüfung ob Kampfstoff beseitigt wurde.
C-Dekontaminationstücher zur Personendekontamination und zur Entgiftung empfindlichen Materials.
Schmierseife zur Entfernung von Nervenkampfstoffen und Lost
Konzentration der Entgiftungsmittel für Lösungen: C8: 30g bis 50g pro Liter Wasser
C13: 50g pro Liter Wasser (kalt anwenden)
C14: 50g bis 100g pro Liter Wasser (so heiß wie möglich anwenden)

C-Tupfer zum Abtupfen chemischer Kampfstoffspritzer von der Haut
C-Ohrenstopfen zum Verschließen der Gehörgänge
C-Wundschutzverband zur Ersten Hilfe bei Kampfstoffwunden
Entgiftungspuder zur Entgiftung von chemischen Kampfstoffen.

Die Ausweichs- und Hilfsstoffe für A1 und A4 können ebenfalls als Lösungen auf Tupfern oder in Breiform verwendet werden. Sie vernichten jedoch den Kampfstoff nicht, sondern helfen nur ihn von der Haut zu entfernen.
Zum Abtupfen benutzte C-Tupfer Tücher aus saugfähigem Material sind zu vergraben oder zu verbrennen (Vorsicht vor dem Rauch!)
Ohrenstopfen können auch aus Watte hergestellt werden.

Sind Giftstoffe in die Augen geraten, müssen diese sofort mit 2%igem Borwasser oder einer 5%igen Natriumbicarbonatlösung (Backpulver!) ausgespült werden!


3.4 Therapie von Kampfstoffvergiftungen

I. Reizgase CN (Chloracetophenon) und CS (o-Chlorbenzalmalodinitril)

a) Beschreibung und Verwendung:
Bei beiden Stoffen handelt es sich um Nasen-, Augen- und Rachenkampfstoffe, die von Militär und Polizei als sog. „riot control agents“, sprich: bei Aufruhr, zum Einsatz kommen.
CN liegt bei Raumtemperatur in farblosen, nach Apfelblüten riechenden, schwer flüchtigen Kristallen vor. Es ist schlecht wasserlöslich, aber gut löslich in organischen Lösemitteln (Alkohol, Ether, Benzol). CS besteht bei Normaltemperatur aus weißen, nach Pfeffer riechenden Kristallen. Auch hier ist die Löslichkeit in Wasser gering und in organischen Lösemitteln sehr gut.
Besonders CS ist darüber hinaus bedauerlicherweise für jedermann als Selbstverteidigungsmittel (i.d.R. als Sprühdose) erhältlich, obwohl ein Laie keineswegs in der Lage ist, die Folgen einer Verwendung von CS abzuschätzen.
Bei der Anwendung von CN oder CS in geschlossenen Räumen werden rasch Konzentrationen erreicht, die unter Umständen tödlich verlaufen können!

b) Vergiftungssymptome:
starker, brennender Schmerz in den Augen; rasch einsetzende tränenreizende Wirkung; Brenngefühl an allen Schleimhäuten, der Nase und in der Kehle; Brennen und Stechen an der Haut, insb. auf Schürfwunden.
Längerdauernde oder wiederholte Exposition führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu allergischen Reaktionen (Kontaktdermatitis etc.).
LCt50: 8500 mg*min/m³ (bei CN) bzw. 25000-150000 mg*min/m³ (bei CS) inhalativ.

c) Therapie:
Für gute Lüftung sorgen; direkten Kontakt der Augen mit flüssigem Reizstoff vermeiden; Augen nicht reiben, offen lassen. Benetzte Kleidung sofort entfernen. ABC-Schutzmaske bietet sicheren Schutz. Dekontaminierung mit alkalischen Lösungen innerhalb einer Minute zur Verhinderung einer Kontaktdermatitis. Spülung der Augen mit Isogutt-Augen-Spülflasche (Dr. Winzer) oder mit ca. 2% Natriumbicarbonatlösung. Bei Hautkontakt mit Roticlean E (Polyethylenglycol 400) oder Wasser und Seife spülen. Bei starker Exposition Lungenödemprophylaxe mit Dexamethason-Spray (Auxiloson®-Dosier-Aerosol, 5 Hübe alle 10 Minuten); bei toxischem Lungenödem (geschlossene Räume) PEEP-Beatmung, Corticoide, Furosemid (Lasix®), Diazepam.


II. Schwefellost (S-Lost, Senfgas, Gelbkreuz)

a) Beschreibung und Verwendung:
Reines S-Lost ist eine ölige, farb- und geruchlose Flüssigkeit. Herstellungsbedingte Verunreinigungen bewirken einen gelblichen Farbton und einen gummi-, senf-, meerrettich- oder knoblauchartigen Geruch.
S-Lost läßt sich verhältnismäßig einfach herstellen; die dazu verwendeten Chemikalien sind ohne größere Schwierigkeiten erhältlich. Es liegt daher auf der Hand, daß terroristische Anschläge durchaus mit Senfgas verübt werden können.

b) Vergiftungssymptome:
Nach Einatmen allgemeine Vergiftungssymptome wie Kopfschmerzen, Ohrensausen, Zittern, Appetitlosigkeit, Angst- oder Erregungszustände. Meist sind dies Vorboten einer Bewußtlosigkeit mit Todesfolge.
Hautkontakt führt nach 2-6 Stunden zu einer Schwellung und Rötung mit starkem Juckreiz. Später bilden sich Blasen, die Haut eitert und es entstehen sehr schlecht heilende Wunden.
Augenkontakt führt zu ähnlichen Symptomen. Bei Augenkontakt mit flüssigem Kampfstoff ist eine Erblindung sehr wahrscheinlich.
Einatmen geringer Mengen führt zu relativ harmlosem Kratzen im Hals und Heiserkeit, welche im Lauf einiger Tage zunehmen. Bei höheren Giftdosen sind Lungenödeme und -entzündungen möglich, die oft tödlich verlaufen.
Spätschäden nach Aufnahme nicht-tödlicher Mengen sind wahrscheinlich.
Tödliche Dosis bei Aufnahme über die Haut: bei 50 mg/kg über mind. 1 Stunde Tod innerhalb von 3 Tagen; bei 600 mg/kg Tod nach einigen Stunden. LCt50: 1000-1500 mg*min/m³ inhalativ, 10000 mg*min/m³ perkutan.

c) Therapie:
Sofortiges Abspülen der Haut und Ausspülen der Augen mit der schnellstmöglich verfügbaren Flüssigkeit (Getränke, Wasser, Regenpfütze, Urin). Ideal ist das schnelle Hineinspringen in das nächste Gewässer samt Kleidern. Erst dann Kleidung entfernen. Wenn möglich, Entkleidung mit Gummihandschuhen (Haushaltshandschuhe schützen ca. 10 Minute, Soldatenstiefel ca. 20 Minuten). Auf keinen Fall die Augen mit den Fingern berühren. Augen beim Waschen bzw. Duschen geschlossen halten. Sofort prophylakitsch Auxiloson®-Dosier-Aerosol (alle 10 Min. 5 Hübe) inhalieren lassen.

Orale Vergiftung: Sofort Mageninhalt auspumpen, danach mehrmals mit 500 ml einer 0,1-0,2%igen Kaliumpermanganatlösung (burgunderrot) oder einer 2%igen Natriumthiosulfatlösung ausspülen. Ist mehr als 1 Stunde vergangen, keine Spülung vornehmen! Dann nur Kaliumpermanganat- oder Natriumthiosulfatlösung mit Medizinalkohlepulver geben.
Giftaufnahme durch die Haut: innerhalb der ersten halben Stunde Schnellinfusion einer 10%igen Natriumthiosulfatlösung. Dosierung: 100-500 mg/kg Körpergewicht = 250 – 1000 ml einer 10%igen Lösung.
Hauterythem: sofort mit 10%igem Clorina® oder Roticlean® (PEG 400) benetzen, Kampfstoffspritzer mit Tupfer und Pinzette entfernen. Notfalls Chlorkalk mit Wasser im Verhältnis 1:1 bis 1:10 anwenden. Gegen den Juckreiz antihistaminhaltige Salbe (z.B. Fenistil®), in schweren Fällen Kortikosteroide (z.B. Locacorten®).
Hautblasen: Behandlung wie Brandblasen. Blasen nie abtragen, sondern nur punktieren.
Augen: sofort mit Isogutt-Augen-Spülflasche oder mit 1,3%iger Natriumbikarbonatlösung oder 0,9%iger Kochsalzlösung oder Leitungswasser spülen. Zusammenkleben der Lidränder mit steriler Vaseline verhindern.
Giftaufname durch Einatmen: Auxiloson®-Dosier-Aerosol (alle 10 Min. 5 Hübe)

III. Nervenkampfstoffe (Alkylphosphate, wie z.B. Tabun, Sarin, Soman, VX)

a) Beschreibung und Verwendung:
weißlich/bräunliche (Tabun) oder farblose (Sarin und VX) Flüssigkeit, geruchlos oder leichter Geruch durch Verunreinigungen. Aufnahme in den Körper durch Haut, Lunge und Magen-Darm-Trakt.
Alkylphosphate kommen auch – wenngleich mit wesentlich geringerer Giftigkeit – als Pestizide vor, z.B. E605 oder Dichlorvos.

b) Vergiftungssymptome:
Extreme Miosis (enge Pupillen), verschwommenes Sehen, starker Speichelfluß, Schweißbildung, Durchfälle, Verlangsamung des Herzschlages, Krämpfe, Zyanose (blaue Hautfärbung), Atemlähmung, Schock, Herzstillstand.
LCt50: 150 mg*min/m³ (bei Tabun), 70 mg*min/m³ (bei Sarin und Soman), 10 mg*min/m³ (bei VX) inhalativ.

c) Therapie:
ABC-Schutzmaske und Schutzkleidung anlegen, Giftentfernung von der Haut mit Wasser und Seife oder Roticlean®, benetzte Kleider entfernen; Augen reichlich mit Wasser ausspülen; Entfernung des Vergifteten aus der kontaminierten Umgebung unter Beachtung des Selbstschutzes; künstliche Beatmung mit dem Ambu-Beutel nur in giftstofffreier Luft oder mit vorgesetztem Filter. Dekontamination mit Chlorkalk. Mindestens 3 x 2mg Atropin i.m. (z.B. aus dem ABC-Selbsthilfesatz) im Abstand von 15 Minuten jeweils bis zur Hemmung der Schleim- und Schweißsekretion, Erweiterung der Pupille oder Tachykardie (Herzrasen). Dosis kann bei sicherer Vergiftung auf 50-500 mg i.v. gesteigert werden. In den ersten 6 Stunden nach der Vergiftung kann Obidoxim (Toxogonin®) angewandt werden (1 Ampulle zu 250 mg i.v.), es wird dann weniger Atropin benötigt – Cave: bei Intoxikation durch Insektizide vom Carbamattyp ist Obidoxim kontraindiziert! -. Natriumbicarbonat inaktiviert das Gift, daher Haut mit 4%iger Lösung spülen, nach Magenspülung 4%ige Lösung instillieren, 1molare (8,4%ige) Lösung infundieren. Als Antikonvulsivum sollte Diazepam i.v. (10-20 mg) oder Clonazepam (z.B. Rivotril®, 2-4 mg i.v.) verabreicht werden (Wirkung hält 12-18 Stunden an).
Die prophylaktische Einnahme von Pralidoxim (P2S) ist umstritten; sie bietet zwar keinen Schutz vor einer Vergiftung, verbessert aber die Wirksamkeit des Atropin (außer bei Vergiftung durch Soman). Nebenwirkungen von P2S sind Durchfall und Sehstörungen, daher ist Daueranwendung nicht empfehlenswert. Dosierung: 4 g P2S (10 Tabletten zu 0,4 g) alle 6 Stunden. Bei Somanvergiftungen empfiehlt sich eine Kombinationsbehandlung aus Atropin, Pyridostigmin,